Vom plötzlichen Innehalten in der Arbeit

Vom plötzlichen Innehalten in der Arbeit

Über eine unsichtbare Last auf dem Weg und dem Verlassen der Identifikation mit der Kunst

Wie in den Gezeiten eines Meeres gibt es Wellen der Schöpfung, die kommen und gehen und deren Existenz allein in Akzeptanz münden können und ein Aspekt des Schaffens sind.

Diese Phasen auf dem Weg sind ein fester Bestandteil der Arbeit.

Die Art und Weise wie die Projekt- oder Werksarbeit aufgebaut sind, sieht einen ruhigen, aber steten Anfang und Verlauf vor, die sich permanent steigern und an Intensität zunehmen, weshalb die aufgewendete Kraft am Ende besonders schwerwiegend ist und der letztendliche Abschluss unabdingbar wird.

Hierin liegt ein hohes Potenzial für Frustration und Müdigkeit im Falle eines Herauszögerns dieser Kulmination aller Aufgaben bis zu diesem Zeitpunkt. Und obwohl die Vielzahl an Spartenübergreifenden Arbeitsschritten oftmals auch hilfreich sein können, wenn man in der einen oder anderen Sache nicht mehr weiterkommt oder sogar steckenbleibt, sind diese ganz besonders zehrend, bis hin zur Aufgabe oder wenigstens einem kurzzeitigen Innehalten.

Dies widerfuhr mir in der jüngsten Arbeitszeit und brachte die gesamte Arbeit für über ein Jahr zum abrupten Halten, ohne Aussicht auf einen Wiederbeginn.

Was war geschehen?

Der Versband „Seelenspieglungen“, ein besonders schwer zu realisierendes Werk, welches bereits zwei Fassungen durchlaufen hatte, stellte sich als äußerst kompliziert dar.

Es gibt Werke, die völlig organisch entstehen und die somit relativ natürlich wachsen.

Diese sind oftmals in sich geschlossene prosaische Texte, welche sich einfach durch Hinzufügen weiterer Kapitel vervollständigen lassen.

Und dann gibt es konzeptionelle Projekte, denen eine Grundidee vorangeht, wie dies zumeist bei Sammlungen jedweder Art von Statten geht, wie dies bei nahezu allen Spurenkreis | Publikationen oder den Spurenblättern der Fall ist, mit Ausnahme des Spuren | Journals, welches über die Zeit entsteht und am Ende nur noch in einer jeweiligen Jahresausgabe zusammengefasst werden muss. Sowohl die Editionen als auch das Magazin brauchen ihre Zeit. Unterschiedliche Aspekte des Layouts erschweren den Entstehungsprozess dazu noch weiter. Und die Herausforderungen des gedruckten Buches runden den beschwerlichen Pfad zur Vollendung ab. Wenn es dann noch Probleme mit der Druckerei gibt, lassen die Kräfte am Ende leider nach.

Im Herzen sind wir Künstler und obgleich die Entscheidung uns dem gesamten Entstehungsprozess selbst zu widmen, frei und mit Überzeugung gewählt ist, zeigen sich hier die Grenzen dieses Weges auf.

Der Band „Seelenspiegelungen“ beinhaltet Verse aus der gesamten Schaffenszeit meines Schreibens, weit aus den Anfängen erster Beobachtungen in der Heimat, über Elemente der prosaisch-lyrischen Betrachtung der Erzählungen, bis hin zu den szenischen Texten der Gleichnisse und mehr.

Ursprünglich als Bildband konzipiert, erfolgte eine Vereinfachung und Konzentration auf die Verse selbst, ohne weiteres Bildmaterial, mit einem neuen Titelbild aus der Feder meiner geliebten Frau, als dann stilistische, wie z.B. Layoutfragen, das Projekt unnatürlich aufhielten.

Selbst der Fokus auf die Verse machte es designtechnisch nicht einfacher und dies brauchte seine Zeit, auch wenn das fertige Werke in seiner Schlichtheit, eine solch komplexe Arbeit kaum für möglich erscheinen lässt.

Lange Rede kurzer Sinn, bis zur Fertigstellung dauerte es und ließ einen gewissen Frust anwachsen, zumal diese seit Jahren sowieso vielschichtiger und tiefgründiger geworden ist.

Die Verlagsarbeit ist sowohl Quelle der Freude als auch immenser Pein, aufgrund verschiedener Gründe, auf die ich hier nur kurz eingehen möchte.

Nur so viel:

Im Herzen dieser Arbeit steht das Kunstschaffen, die primär als Künstler erfolgt. Der Verleger ist eine eher notwendige Aufgabe, obgleich diese ebenfalls mit Freude, Kraft und Überzeugung übernommen wird und man auch nicht missen möchte, hält sie doch ein Maß an Kontrolle bereit, die aufzugeben nicht geplant ist.

Dennoch kommt man auf solch mannigfaltigen Pfaden ins Straucheln und spürt die Beschwerlichkeit des Weges.

Man ist glaubender Mensch, hoffnungsvoller Künstler, planender Verleger. Die Rezeption der eigenen Arbeit ist, trotz der Eitelkeit der Kunst, auch nicht zu verdenken.

Das Selbstverständnis, die Identifikation und Verwurzelung in der Kunstarbeit sind ein komplexes Geflecht, welches häufig nur in ernsthafter Auseinandersetzung mit sich selbst, einer wahrhaftigen Differenzierung und tiefgründigen Glaubensfragen entwirrt werden können.

Und dies trotz der Tatsache, dass hier im letzten Jahr große Fortschritte gemacht wurden, worüber ich jedoch später und an anderer Stelle mehr schreiben werde.

Das Angriffspotenzial ist ebenso vielschichtig und bringt Schwierigkeiten mit sich. Es ist oft nicht leicht all die Komplikationen auf harmonische Weise zu lösen.

Der Schaffensprozess ist am Ende eben doch organisch, in dem man verschiedenen Strömungen der einzelnen Phasen folgt und bis zu einem gewissen Grad sogar eigene Kontrolle über sie hat.

Und das hier ist dann die Achillesferse der Arbeit.

All die Aspekte, die außer der eigenen Kontrolle stehen.

Wenn nach einem schwierigen und langen Entstehungsprozess das Werk dann also vorliegt, hofft man auf einen baldigen und entspannten Abschluss.

Hier jedoch wartet die Arbeit mit den Druckereien und dem Buchhandel mit mancherlei Komplikationen auf und hält den Abschluss eines Projektes noch einmal auf:

Von technischen Problemen, Fehldrucken, Reklamationen und Einstellungsproblemen, die einem auf den letzten Metern der Strecke alles abverlangen und auf denen man die schwindende Kraft als Künstler und Autor spürt.

„Seelenspiegelungen“ war fertig und doch plagten Herausforderungen dieser Art den Abschluss des Buches und zwangen mich letztendlich in die Knie.

Und seltsamerweise dann auch meine gesamte Arbeit auf allen Ebenen.

Ich musste alles ruhen lassen.

Doch hier geschah dann etwas Wundersames, weil der Weg eben alle Aspekte beinhaltet und diese gleichermaßen von Bedeutung sind, weil es ein organisches Voranschreiten, ein ganzheitlicher Lernprozess ist. Ein formender Kunst- und Seinsweg, was mir die Folgen der Arbeitsruhe aufgezeigt haben.

In der Ruhe und Distanz von der Arbeit lernte ich einiges über mich selbst und obwohl ich darüber, wie erwähnt, noch genauer schreiben möchte, hier ein paar kurze Beispiele:

Die Schöpfung existiert weiterhin, auch ohne Ausdruck.

Der Schöpfer in mir kreiert, denkt und formt kontinuierlich.

Diese Kreationen werden vertieft, erhalten Gewicht und Teil einer lebendigen Gedankenwelt.

Der zuvor und im Grunde als existenziell empfundene Ausdruck, löst sich von der Identifikation mit der Kunst und dem Kunstschaffen selbst.

Das eigene Ego, welches auf dem gesamten bisherigen Weg um Aufmerksamkeit buhlte und häufig vollkommen im Zentrum des Agierens stand, ja als Grund für die Schöpfung selbst agierte, kommt nahezu vollständig zum Schweigen, ohne unterdrückt zu werden.

Die eigene Wertigkeit liegt nicht mehr im Schaffen, die Werke werden nicht länger gebraucht, um sich damit zu identifizieren, d.h. nicht zu schaffen, geht nicht länger mit einem Verlust in der eigenen Wertigkeit einher, die seltsamerweise nicht geschmälert wird, weil die Schöpfung weiterhin stattfindet und internalisiert zu einer ungeahnten Lebendigkeit wächst.

Der Ausdruck kann in Gesprächen mit anderen stattfinden, ohne der Eitelkeit der Kunst anheimzufallen und Opfer ihrer Tücken zu werden, zumal der beständige innere Dialog fortbesteht, sowohl Prüfung als auch Genugtuung offenbart.

Als Künstler ist die Trennung des Egos von der Kunst, die Befreiung von der Notwendigkeit des Ausdrucks Identifikation und Bestätigung der eigenen Wertigkeit, die wahrhaftige Offenbarung, etwas nicht für möglich Gehaltenes auf dem Lebens-, wie Kunstweg, weil all diese Aspekte stets miteinander verknüpft und verflochten waren.

Nach der langen und erneuten Zeit des Innehaltens auf dem Weg, ist dies eine machtvolle Erfahrung, mit der ich niemals gerechnet habe.

In manchen Augenblicken der Stille betrachtete ich mich selbst und erblickte eine Art von Differenzierung zwischen dem Kunstschaffen und mir selbst als Mensch, der Mensch, nicht länger abhängig vom Künstler, der Künstler nicht weiter abhängig vom Menschen, beide befreit und gereinigt von den düsteren und tückischen Irrpfaden der Kunst.

Deren Schöpfung nun ohne Identifikation erfolgen kann.

Denn seltsamerweise führt die Distanz oder Differenzierung gleichzeitig auch nicht zu einem gänzlichen Aufhören, zumal verschiedene Aufgaben in diesem Leben und Dasein bestehen bleiben, weil niemand sonst sich ihnen annehmen wird.

Als Menschen haben wir etwas zu tun in unserer Existenz, dies ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und zumeist, wenn es eine Art Seelenaufgabe ist, nicht einfach zu lösen oder mit Mühe, Schmerz und Reibung verbunden.

In meinem Leben sehe ich Verzicht, Loslassen und Heilung, als primäre Aspekte meiner Existenz, sowohl im Hinblick auf mich selbst als auch auf die Menschen um mich herum.

Doch darüber vielleicht an späterer Stelle mehr.

Im Hinblick auf die Welt könnte man das Innehalten von der Arbeit, die Resignation vor gewissen Aufgaben und das Zurückziehen in die Stille, als Scheitern verstehen und wahrnehmen, doch dies ist ein geistiger, spiritueller Pfad, auf dem einem auch die Niederlagen, und wahrscheinlich besonders diese, als Bereicherung gereicht werden, wie ein bitterer Kelch, den wir zu etwas Kostbarem und Köstlichen machen können, wenn wir es zulassen, es bestimmt ist und diesem Prozess seinen Raum geben.

Als ich mich dann irgendwann in diesem Jahr, wieder den notwendigen Aufgaben widmete, empfand ich dies als umso lohnender und von hieran schien sich der Knoten langsam zu lösen, etwas dem ich weiterhin und in langsamen, steten Schritten widme.

Manche Phasen brauchen länger als andere.

Alles ist Teil eines natürlichen Entwicklungsprozesses.

Wenn wir uns diesem annehmen, den Verlauf dieser Dinge akzeptieren, natürlich auch die Zeit und den Raum dafür haben und erhalten, fern der Zwänge des Alltags, kann er sehr lohnend sein.

In dieser Hinsicht fühle ich mich gesegnet.

Obgleich das Leben gleichzeitig auch in anderer Hinsicht mit Beschwerlichkeiten aufwartet, aber das ist das Gleichgewicht in unserer Existenz.

Der Versband „Seelenspiegelungen“ ist nun abgeschlossen und veröffentlicht.

Die Arbeit daran beinhaltete mehr in sich, als ich erwartet habe und wurde tatsächlich Teil der Seelenarbeit oder Pflege der Seele, die ihren wichtigen Aufgaben nachgeht., was nicht sofort offensichtlich war.

In alledem liegen so viele Kostbarkeiten verborgen:

Die Beharrlichkeit auf dem Weg, der Glauben an die Sache, eine Idee oder ein Werk, wie auch die Akzeptanz des Scheiterns und der Niederlage, die sich wiederum als Bereicherung und Möglichkeit für Offenbarungen, neue Hoffnungen und Kontinuität herausstellen, eine unerwartete Wendung, ein tiefes Verständnis und Klarheit über sich selbst, ja spirituelle Erkenntnis darlegen.

Im inneren Dialog ist dies möglich.

In der gegenseitigen Ermunterung kann es über uns hinaus und andere übergehen.

Auch dafür sind diese Ausführungen.

Schöpfer, Seele, Mensch… Bin ich. Sind wir.

Wenn wir lernen die Wellen der Gezeiten unserer Existenz zu begreifen, wird der eigene Weg und alles, was auf ihm erscheint, gleichzeitig Antwort und Frage, harmonisch, fordernd und heilend zugleich.

Die unsichtbare Last zum Stein des Anstoßes, das Innehalten zur Erweckung, im Fluss der mannigfaltigen Strömungen in unserem Leben, das ewige Licht in uns zu nähren.

R. Rehahn, 12.12.2022 & 30.06.2023